Wir Winzlinge, ausgesetzt der Unendlichkeit
Zu Eva Pauls Miniaturzyklus ‘Im Tal der Barke’
Egon Koch
in: Brandenburgischer Kunstpreis 2017
Weiß oder / Schwarz, / Grün oder / Blau, / die Welt / ist eine Innenschau – Eva Paul
In unserer Zeit des Schneller, Weiter, Höher richtet die Malerei von Eva Paul unsere Aufmerksamkeit auf das Kleine, genauer gesagt, auf das Große im Kleinen. Wenn wir Betrachter uns ganz dicht vor die sechs auf zehn Zentimeter großen Miniaturen stellen, öffnen sich der Künstlerin farbliche Innenwelten. Wie eine ihrer winzigen Figuren betreten wir ein gelborange flirrendes Feld oder ein grauschwarzblaues Morastufer, nie einen festen Boden, und erleben unsere existentielle Einsamkeit auf dem Übergang in das Unbekannte, ausgesetzt der Unendlichkeit… Nichts steht in diesen Farbenwelten fest, alles bewegt sich, einzig Barke und Figur sind die Konstanten. Einmal stochert der Winzling in seinem mastlosen Boot unter einem herabstürzenden Wasserfall hindurch, ein anderes Mal scheint er auf einem ausgetrockneten See nach einer Spur zu suchen, dann wieder macht er in einer heiteren Sommerlandschaft einen kleinen Ausflug von all seinen Mühen, um zu seiner an den Baum gebundenen bunten Barke zurück zu kehren, wie Sisyphos zu seinem Felsblock. Die Figur fährt, steht oder geht, bis sie irgendwann mit ihrem nun wieder schwarzen Gefährt auf der blaugrauen Oberfläche treibt und sich unter ihr der Blick in die erhellte Unterwelt öffnet.
Eva Paul öffnet sich beim Malen nach innen, sie arbeitet in einem meditativen Zustand. Bei den Miniaturen trägt sie intuitiv Schicht um Schicht auf bereits bearbeitetes Kupferdruckpapier, das Alte ist Humus für das neu Entstehende. Sie trägt Farbe auf, kratzt sie wieder weg, zeichnet, trägt weitere Farbe auf… Derart bekommt die Bildoberfläche etwas von einer Haut: Sie ist aufgerissen, verrunzelte Aufwölbungen, dann ist sie wieder glatt zerstrichen. Das Auf- und Abtragen der Schichten von Farben ähnelt dem Ein- und Ausatmen. Dieser Odem findet sich im gleichmäßigen Tagesablauf von Eva Paul wieder, der belebt ihr Werk. Früh steht sie jeden Morgen am Rand des brandenburgischen Perwenitz auf, versorgt Pferde und malt. Ab und zu werkelt sie im Garten.Sie bekommt Impulse von der Natur, von der Koppel, vom weiten Horizont, vom Flügelschlag eines Vogels – in der Luft ein einziges Summen, Sausen, Schwingen. All das kann spontan in die Bewegungen des entstehenden Gemäldes einfließen, etwa in einer Miniatur in den Verschlingungen des Lebensweges. Leben ist, wir wissen nichts, sagt Eva Paul. Figur und Barke setzt sie nicht bewusst ins Bild, sondern die Gegenstände zeigen sich ihr von selbst in der Struktur des Farbgewebes.
Womöglich überträgt sie in der Malerei das antike Motiv des Fährmanns Charon, der befördert mit einer Barke die Toten auf dem Fluss Styx in die Unterwelt, in ihre eigene Auseinandersetzung mit der Sterblichkeit. Wir kommen. Wir bleiben. Wir gehen. Bei der Künstlerin ist es nun kein antikes Konzept mehr, eher ein buddhistisches. Sie kreist um die spirituelle Frage: Wo bin ich? Auf jeden Fall gebunden an die Barke. Sie ist das, was den Winzling durchs Leben in den Tod trägt, ein Übergangssymbol. Wohin genau, das liegt außerhalb der abbildbaren Welt.
Neben den Miniaturen wirkt die Figur in der marsschwarzen Lagune des großformatigen Bildes noch mehr verloren und bedeutungsloser. Verschwindend klein in der blauschwarzen Unendlichkeit, wirft sie die Angel aus. Angenommen, dieser Winzling ist Eva Paul selbst, dann könnte der goldene Fisch ihr wundervolles Werk sein, das sie aus dem Gewässer des Unbewussten hervorbringt.