Wie Zainab in die Fänge der Polizei geriet Info

Folter regiert die Welt

Vom Betreten eines unordentlichen Zimmers in Kairo und seinen ungeheuerlichen Folgen / In Ägypten werden Menschen sehr schnell als islamische Terroristen verdächtigt   

Aus Kairo Egon Koch

Eigentlich zeigt Kairo im Frühjahr 93 ein friedliches Gesicht. Auf den ersten Blick ist für den Fremden keine Gewalt zu sehen. Erst aus den Zeitungen erfährt man von Kämpfen zwischen der ,,Islamischen Vereinigung“ und ,,Sichereitskräften“ im Kairoer Armenviertel lmbaba, in Assiut und Assuan, von über vierzig Todesopfern im Monat März.

Die Anstrengungen der ägyptischen Regierung, die islamistische Oppositionsbewegung zu zerschlagen, führen vielfach zu Verletzungen von Menschenrechten. Seit der Ermordung von Präsident Anwar Sadat im Oktober 1981 ermächti­gen Notstandsgesetze den Innen­minister, politisch verdächtige Personen ohne Anklage oder Ge­richtsverfahren in Verwahrungs-haft nehmen zu lassen. Die Be­kämpfung militanter Islamisten dient immer wieder als Vorwand für willkürliche Verhaftungen und Mißhandlung von Gefangenen.

Eigentlich fing der Tag harmlos an. Ich hatte die Sudanesin Zainab (Name von der Redaktion geändert) gebeten, mich auf Kairos größten Fischmarkt ,,Zauya Al­Hamra“ zu begleiten, um für deutsche Rundfunksender ein paar Im­pressionen einzufangen. Gegen 10 Uhr gingen wir zögerlich auf schwarzer, schmieriger Erde zwi­schen Holzfässern und auf Eis-blöcken ausgelegten, merkwürdig stumpfen Fischen hindurch. Die Luft war von widerwärtigem Ge­stank erfüllt. Unter zerschlissenen Sonnenschirmen riefen uns junge Männer ihr ,,Hello“ zu.

Vor Ekel konnte ich mich zu keinem Gespräch durchringen, nahm jedoch mit offenem Mikro­phon die Atmosphäre auf— bis uns plötzlich ein unscheinbarer Mann mittleren Alters in den Weg trat. Mit schriller Stimme verlangte er nach meiner Erlaubnis, hier Aufnahmen zu machen, und hielt mir einen Ausweis vors Gesicht. ,,Staatssicherheit“, übersetzte Zai­nab. Der Mann verlangte meinen ägyptischen Presseausweis und be­hielt ihn kurzerhand ein und sagte zur Erklärung, er bringe uns jetzt zur Polizei. ,,Der wollte natürlich Geld“, sagte später ein Bekannter.

,,Tu etwas“, rief Zainab, ,,wenn ich zur Polizei muß, ist meine Zukunft zerstört.“ Auf Anhieb verstand ich nicht, was sie damit meinte, erkannte aber die Panik in ihrem Gesicht. Sie hatte Angst, ihr Vater würde sie verstoßen, und sie wäre für immer von ihrer Familie abgeschnitten. Eine muslimische Frau hat kein Recht, einen Fremden zu begleiten. Schande über sie, wenn sie verhaftet wird. So simpel ist die gesellschaftliche Regel, so grausam. Aber das alles verstand ich erst später. Vom Telefon im Kiosk gegenüber dem Fischmarkt rief ich im Informa­tionsministerium an und bat um Hilfe. Die zuständige Dame glaubte aber den Lügen des vermeintlichen Geheimdienstmannes und sah keinen Grund einzugreifen. Der Herr mit dem verstohlenen Blick hatte behauptet, ich hätte fotografiert und Interviews geführt. Dabei hatte ich nicht einmal einen Fotoapparat dabei. Mein Versuch, Hilfe beim ARD-Korrespondenten zu finden, scheiterte, da er nicht zu erreichen war. Nein, ich konnte nicht verhindern, mit Zainab auf die Polizeistation von ,,Haddki el Gobba“ im Norden Kairos gebracht zu werden.

In dem von Uniformierten bewachten Flachbau führte man uns gegen 10.30 Uhr in das Büro des Kommandanten. Vor dem dicken, schnauzbärtigen Mann in schwarzer Uniform wiederholte unser Peiniger seine Lügen. Man verlangte unsere Pässe. Zainab hatte ihren nicht dabei. Telefonate wurden geführt. Bruchstückhaft übersetzte meine Begleiterin die hek­tisch geführten Verhandlungen: ,,Sie holen sich  Anweisungen von der Staatssicherheit.“

Gegen 11 Uhr brachte man uns in das Büro des Stellvertreters. Gegenüber hielt ein müder Polizist Wache vor der Gefängnistür. Eine kleine Ewigkeit verstrich, bis der Uniformierte ein Protokoll auf­nahm. Zunächst von den Aussagen des Denunzianten, dann von uns Beschuldigten. Was man uns vorwirft, fragte ich. Schweigen.

„Wenn ein Anwalt kommt, sperre ich ihn auch gleich ein“, sagte einer der Polizisten.

Gegen 13 Uhr, nachdem der Herr mit dem verstohlenen Blick eilig die Polizeistation verlassen hatte, erwähnte der junge Stellvertreter, der Mann sei gar nicht von der Staatssicherheit, der sei einfacher Angestellter im Verteidigungsministerium und hätte folglich kein Recht gehabt, uns festzunehmen. Dennoch ließ man uns nicht frei. Kurz darauf erreichte ich telefonisch den ARD-Korrespondenten. Er versprach Hilfe durch di~ Botschaft. Beim Warten auf unsere Freilassung erzählte Zainab, der falsche Geheimdienstmann hätte sie beschuldigt, sie habe mich zum Fischmarkt geführt, um mir ein schlechtes Bild von Ägypten zu geben. Sei das Land nicht gut zu ihr gewesen? Hätte sie hier nicht Medizin studieren dürfen?! Und das sei ihr Dank?! Eine anständige Frau tue so etwas nicht. Soweit der Spitzel. Ab 14 Uhr wendete sich alles gegen Zainab. Der dicke Kommandant verkündete, ich sei frei — unter Auflagen — meine Begleiterin würde dem Regierungsbeauftragten für sudanesische Angelegenheiten vorgeführt.

Seit der Kommandorat der Re­volution zur Nationalen Rettung 1989 die Macht im Sudan über nommen hat, schwelen Konflikte zwischen Ägypten und seinem Nachbarstaat. Ägypten klagt das dortige islamische Regime an, es bilde Terroristen aus und schleuse sie über Libyen nach Ägypten. Arme Zainab, auf einmal war sie eine potentielle Terroristin. Aus nichtigem Anlaß hatte sich die Maschinerie der Staatsgewalt gegen sie in Gang gesetzt. Ich konnte zunächst bei ihr bleiben. Nach einstündiger Taxifahrt in die Kairoer Innenstadt kamen wir zum scharf bewachten Gebäude der Staatssi­cherheitspolizei (SSIP) am Lazoghly-Platz. Dort mußten wir wieder warten. Der Beauftragte hatte bereits Mittagspause. Zainab mußte um 21 Uhr erneut vorgeführt werden und solange im Stadtteil ,,Haddki eI Gobba“ in Polizei-gewahrsam bleiben.

Zur angegebenen Zeit trafen wir abermals bei der ,,SSIP“ ein. Meine Begleiterin wurde sogleich von Zivilpolizisten in einen uneinsehbaren Gang geführt. Ich hatte im neonbeleuchteten, vollbesetzten Warteraum auszuharren. Gegen 24 Uhr fragte ich das Wachper­sonal am Eingang, was mit der Sudanesin geschehe? Keine Auskunft. Einer der Wartenden meinte, es könne lange dauern, das Amt habe die ganze Nacht geöffnet. In diesem Moment trat Zainab aus dem verwinkelten Flur. Sie sah mitgenommen aus. Sie müßte noch mal zur Polizeistation, um etwas zu unterschreiben, sagte sie, dann sei sie frei. Erst Tage später erzählte sie mir, sie hätte in einem Raum voller Ratten warten müssen, dort hätten Männer mit verbundenen Augen hinter Gittern gestanden.

Das Schrecklichste: Sie bekäme die Schreie von den Gefolterten nicht mehr aus dem Kopf. –  Sage keiner, ihr sei nichts geschehen.

Gegen 1 Uhr nachts traten wir im Fllachbau an eine Theke, hinter der eine Reihe von Polizisten saß. Der begleitende Zivilpolizist flüsterte einem Uniformierten etwas ins Ohr. Kurz darauf sagte der, er habe eine Überraschung für Zainab. Sie müsse die Nacht im Gefängnis verbringen. Da brach sie zusammen. Ich bat sie, mir nun doch die Telefonnummer ihres Onkels, eines Anwalts, zu geben. Sie hatte bis dahin gehofft, ohne Aufsehen aus der Sache herauszukommen. Die Beamten ließen mich nicht telefonieren. ,,Wenn ein Anwalt kommt, sperre ich ihn auch gleich ein“, sagte ein Polizist und forderte mich auf, das Gebäude zu verlassen. Schließlich bat selbst Zainab, ich möge, gehen. Vornübergebeugt saß sie auf dem Stuhl, ihr Kopf lag müde auf der Theke. Sie war am Ende ihrer Kräfte.

Nach mehreren vergeblichen Versuchen, den Onkel oder einen anderen Anwalt zu erreichen, kehrte ich zur Polizeistation zurück. Zainab war verschwunden. Mit höhnischem Gelächter trieben die Uniformierten ihre Scherze mit mir. Zuletzt sagte einer, sie sei im Taxi nach Hause gefahren. Ich glaubte ihm kein Wort, wußte aber nicht, was tun. Schließlich fuhr ich besorgt und ratlos in mein Hotel. Gegen 2 Uhr händigte mir dei Nachtportier eine Nachricht aus:

,,Ich bin in Ordnung und zu Hause. Zainab.“ Am anderen Morgen ging ich zum Informationsministerium, um mich zu beschweren. Nachdem man meine Darstellung des Ereignisses gehört hatte, entschuldigte man sich und erklärte mir: ,,Wenn Sie einen Fremden in Ihr Haus einladen, führen Sie ihn doch auch nicht in das Zimmer, in dem alles in Unordnung ist.“