Die Blaue Flamme Info-Literatur

Die Blaue Flamme

Exposé zur Erzählung

Geschrieben 1995/1996 in Hamburg

Am Anfang erscheint dem Ich-Erzähler das Schiff Rimbaud. Im Laufe der Geschichte wird das Schiff, auf dem er seine Kindheit verbracht hat, zusehends zum poetischen Vehikel seiner Veränderung, genauer gesagt, seines Umzugs und Ortswechsels.

Am Bug der Rimbaud findet sich das Blau, die poetische Farbe der Weite, ebenfalls in seiner Flagge, somit im Stoff der Erzählung. Angeregt von diesen beseelten Dingen entfacht der Ich-Erzähler, in einer kalten, krisenhaften Zeit, die Blaue Flamme seiner Geschichte von der Suche nach dem neuen Leben. Darin findet er mehr und mehr verwandelte Vergangenheit. Im Laufe der Ereignisse entsteht aus diesem (zunächst abstrakten) Blau am Bug ein mit der Figur Alain verfremdetes Selbstporträt des Ich-Erzählers, die Galionsfigur. Kurz vor Ende der Erzählung löscht er die Blaue Flamme der Magie und Imagination wieder, dringt dort ein, von wo er ausgegangen ist, in das Schiff der Vergangenheit, begegnet sich also selbst und geht nach der Reise des Erzählens auf wirkliche Fahrt. Freilich mit der beim Schreiben gewonnenen Erkenntnis, auf sein Gleichgewicht achten zu müssen, um künftig nicht unterzugehen.

Vordergründig handelt meine Erzählung von Umzug und Ortswechsel, vom Unterwegssein als Versuch, Ordnung in Dinge und Leben zu bekommen, von der Vision, in der Heimatlosigkeit und Unbehaustheit moderner Existenz seinen Platz (Bleibe und Arbeit) in der Welt zu finden. Mit Wechsel und Wandel ist jedoch zutiefst jenes Bloch‘sche Stirb und Werde verknüpft, dieses über sich hinauswachsen müssen, um Mensch und Künstler zu werden. In diesem Sinne ist meine Erzählung eine Auseinandersetzung mit Sterben und Tod. Nicht zufällig ist sie um den Neujahrstag angesiedelt, die alte Epoche bleibt zurück und die Zukunft eröffnet sich mit ihren Gefahren und Möglichkeiten, das neue Leben zu beginnen. Auf diese Weise sind Wohnungen, in denen sich Ich-Erzähler und seine Figuren befinden, zugleich Zeiträume, in denen das Prinzip der Zeitgleichheit des Ungleichzeitigen herrscht. Nicht linear schreitet die Entwicklung voran, sondern wie bei Russischen Puppen steckt die Episode in der Episode in der Episode …

Tief wirken Sterben und Tod in die Erzählung ein. Zunächst erlebt der Ich-Erzähler das Schreiben als eigenes Sterben. Gleichzeitig ist dem schöpferischen Akt die Vernichtung zu eigen, der, der sein wird, löst den ab, der gewesen ist. Folgerichtig legt sich die Figur Alain am Ende des Ersten Buches zum Sterben hin und mit ihm das Alter ego des Ich-Erzählers, das immer „Junior“ geblieben ist, wie Kafka Sohn. Findet im Zweiten Buch der Wandel zum eigenverantwortlichen Leben statt, so ist das Dritte Buch meiner Erzählung gewissermaßen der Nachruf auf dieses andere Ich, das nie geschafft hat, ein eigenständiger Mensch zu werden, will sagen, Schiffsführer. In der Trauer um diesen Ungewordenen wird der Ich-Erzähler schließlich zum neuen Geschöpf, zum Schriftsteller. Und er tut das, was Vilém Flusser im Motto der Erzählung vorgibt, er verwandelt sein Leiden (und seine Sorge), im Bewusstsein des allgegenwärtigen Todes in schöpferisches Spiel.

In diesem Spiel meiner Erzählung thematisiere ich immer wieder Malerei und Schreiben. Meine Erzählhaltung ist in der Erzählung Die Blaue Flamme der expressionistischen Malauffassung ähnlich. Entsteht dort aus einer Farblandschaft die lebendigste Szenerie, so bei mir aus dem Textkörper. Immer bleibt die Farbe als Farbe sichtbar, der Text als Text erkenntlich und dennoch lösen sich zugleich die Begebenheiten und Ereignisse in aller Lebendigkeit heraus. Im Grunde ist meine Erzählung jenes Winterbild, das ich ziemlich am Schluss beschreibe. Auf dem Untergrund eines schraffierten, unendlichen Weiß (menschlicher Existenz, die Alles und Nichts sein kann) habe ich ein paar (zunächst abstrakt wirkende) Farben gesetzt, die sich bei genauerer Betrachtung zu Gegenständen (Fluss, Schiff, Reise) verwandeln und in Bewegung setzen.

Einerseits kontrastiere ich auf diesem Bild, hier innere Entwicklung des Ich-Erzählers und dort Beschreibung der Außenwelt, andererseits setze ich zwei Wirklichkeiten gleich, hier Schiffsreise und dort Umzug von einer in die andere Wohnung, anders gesagt, von einem in das andere Leben.

Ca. 160 Seiten.