1 – Nach Athen und Triest Ende 2021

Das Projekt: Die Wieder-Entdeckung des Reisens – Erfahrungen in Zügen Süd-Ost-Europas

Seit Mitte der 1970er Jahre haben sich die Touristenzahlen weltweit dreißig und die Fluggastzahlen siebzig Mal erhöht. Durch die Corona-Pandemie gerieten die einer Konsumlogik folgende Tourismusbranche und die Fluggesellschaften in schwere wirtschaftliche Krisen. Der Flugverkehr steht schon länger wegen der weltweiten CO₂-Emissionen mit dem Anteil von 2,8 Prozent in der Kritik. Der Verkehrsbereich macht insgesamt fast ein Viertel der globalen Emissionen aus, wobei der Großteil des CO₂ im Straßenverkehr emittiert wird. Andererseits gibt es ohne Mobilität keine internationalen Transfers. Jetzt, da sowohl der Tourismus als auch der Flugverkehr langsam wieder zunehmen, ist es Zeit, diese Fragen zu stellen: Wie können wir anders reisen? Wie unsere Konsummuster ändern und aus marktgängigen touristischen Arrangements wieder eine Reisekultur machen? Für das Klima. Für mehr Nachhaltigkeit. Aber nicht zuletzt für uns als Menschen.

Entgegen dem Massentourismus an weltweiten Stränden und in Städten bedeutet Reisen, sich Zeit zu nehmen, improvisieren, ab und zu der Verlockung nachgeben, auszusteigen, abseits der ausgetretenen Wege zu gehen. Reisen heißt Begegnungen mit anderen Kulturen und Menschen. Reisen verlangt Offenheit für Unerwartetes, für Unwägbarkeiten. Die Wahrnehmung und Entdeckung des Anderen und im Anderen führen letztlich zur Selbsterfahrung.

Ist es in unserer auf Schnelligkeit bedachten Zeit aber sinnvoll, beruflich durch Europa mit dem Zug zu reisen, wo doch das Credo ‚Zeit ist Geld‘ weiterhin gilt? Zahle ich drauf, wenn ich aufs Fliegen verzichte? Verpasse ich Termine? Treten andere Hindernisse in einem ansonsten reibungslosen Ablauf auf? Wie bei jeder Veränderung verliert und gewinnt man etwas. Wir bekommen etwas anderes dafür, wenn wir uns Zeit fürs Reisen nehme?

Auf meiner schätzungsweis 3-tägigen Zug- und Busreise von Hamburg über Wien, Budapest, Belgrad, Sofia, Thessaloniki nach Athen und von Griechenland zurück mit dem Schiff nach Italien, von Brindisi, über Triest retour nach Hamburg stelle ich den streckenweise Mitreisenden diese Fragen: Wie leben sie? Was bewegt sie? Wie reisen sie? Vor, während und nach der Pandemie? Verändert sich ihr Reiseverhalten? Zugleich eröffnen ihre Mitteilungen Einblicke in Leben eines süd-östlichen Europas, über das hierzulande meist nur berichtet wird, wenn es dort zu Katastrophen kommt.

So wird sich die Reportage, die ich für den Deutschlandfunk mache, aus subjektiven Erfahrungen zusammensetzen und hoffentlich aufzeigen, was geschieht, wenn man anders reist: es bereichert und erweitert.