2 – Nach Athen und Triest Ende 2021

Zwei Stunden hat es gebraucht, bis ich im Internet den Interrail Pass Senior für 361 Euro (10 Reisetage bei zwei Monaten Laufzeit) gekauft hatte. Noch mehr Stunden braucht es, bis ich die Zugverbindungen gefunden habe. Am 18. November von Hamburg nach Wien (ich bin spät dran mit der Reservierung, im Nachtzug sind alle Schlaf- und Liegeplätze belegt, ich muss mit einem Sitzplatz vorlieb nehmen, in der Hoffnung, dass ich, wenn ich im Zug bin, doch noch einen Liegeplatz ergattere). Am 19. November von Wien nach Budapest. Am gleichen Tag noch von Budapest nach Craiova (auch für die Reservierung eines Schlaf- oder Liegeplatzes im Nachtzug bin ich zu spät dran, weil man die Bestätigung per Post zugeschickt bekommt). Am 20. November von Craiova nach Vidin (Bulgarien) und von dort nach Sofia. 17 Uhr 10 ist die Ankunft in der bulgarischen Hauptstadt geplant.

Von Sofia nach Thessaloniki aber hakt es. Was ich auch versuche, welche Website ich auch aufrufe, keine Verbindung. Eine hat den Vorschlag zu machen, die Strecke mit dem Auto zu fahren.

Der bulgarischen Bahn „BDZ-Passengers“ schicke ich eine Anfrage per E-Mail und Frau Aleksieva schreibt mir bald zurück: „Unfortunately there is no train from Sofia to Thessaloniki this year“.

Kaum zu glauben, aber das ist die nackte Wahrheit: keine Zugverbindung zwischen Bulgarien und Griechenland! Froh, immerhin Gewissheit zu haben, frage ich Frau Aleksieva auf elektronischem Weg, ob es einen Zug zu einem Ort in Süd-Bulgarien gibt, von dem aus ich nach Griechenland kommen kann, notfalls eben mit dem Taxi. Eine Stunde später erhalte ich die Antwort:

„There is no point in traveling to the border by train because then there is no connection with Greece. That are the buses company from Sofia to Thessaloniki: Union Ivkoni,  Racicbg.com“

Auf der Website der bulgarischen Busgesellschaft sind täglich, auch am 20. November, drei Fahrten von Sofia nach Thessaloniki aufgeführt. Fahrtzeit 7 Stunden 20 Minuten. Ich muss sagen, Bus fahre ich nicht gerne. Aber es muss dieses Mal sein, immerhin komme ich so nach Griechenland. Wenn alles klappt, bin ich 22:50 Uhr in Thessaloniki. Oder eben erst am 21. November. Von Thessaloniki fahren dann wieder Züge nach Athen. Der erste 6:27 Uhr. Fahrzeit um die vier Stunden.

Wenn ich es richtig sehe, brauche ich knapp drei Tage von Hamburg nach Athen. Schauen mir mal. Bon Voyage.

1 – Nach Athen und Triest Ende 2021

Das Projekt: Die Wieder-Entdeckung des Reisens – Erfahrungen in Zügen Süd-Ost-Europas

Seit Mitte der 1970er Jahre haben sich die Touristenzahlen weltweit dreißig und die Fluggastzahlen siebzig Mal erhöht. Durch die Corona-Pandemie gerieten die einer Konsumlogik folgende Tourismusbranche und die Fluggesellschaften in schwere wirtschaftliche Krisen. Der Flugverkehr steht schon länger wegen der weltweiten CO₂-Emissionen mit dem Anteil von 2,8 Prozent in der Kritik. Der Verkehrsbereich macht insgesamt fast ein Viertel der globalen Emissionen aus, wobei der Großteil des CO₂ im Straßenverkehr emittiert wird. Andererseits gibt es ohne Mobilität keine internationalen Transfers. Jetzt, da sowohl der Tourismus als auch der Flugverkehr langsam wieder zunehmen, ist es Zeit, diese Fragen zu stellen: Wie können wir anders reisen? Wie unsere Konsummuster ändern und aus marktgängigen touristischen Arrangements wieder eine Reisekultur machen? Für das Klima. Für mehr Nachhaltigkeit. Aber nicht zuletzt für uns als Menschen.

Entgegen dem Massentourismus an weltweiten Stränden und in Städten bedeutet Reisen, sich Zeit zu nehmen, improvisieren, ab und zu der Verlockung nachgeben, auszusteigen, abseits der ausgetretenen Wege zu gehen. Reisen heißt Begegnungen mit anderen Kulturen und Menschen. Reisen verlangt Offenheit für Unerwartetes, für Unwägbarkeiten. Die Wahrnehmung und Entdeckung des Anderen und im Anderen führen letztlich zur Selbsterfahrung.

Ist es in unserer auf Schnelligkeit bedachten Zeit aber sinnvoll, beruflich durch Europa mit dem Zug zu reisen, wo doch das Credo ‚Zeit ist Geld‘ weiterhin gilt? Zahle ich drauf, wenn ich aufs Fliegen verzichte? Verpasse ich Termine? Treten andere Hindernisse in einem ansonsten reibungslosen Ablauf auf? Wie bei jeder Veränderung verliert und gewinnt man etwas. Wir bekommen etwas anderes dafür, wenn wir uns Zeit fürs Reisen nehme?

Auf meiner schätzungsweis 3-tägigen Zug- und Busreise von Hamburg über Wien, Budapest, Belgrad, Sofia, Thessaloniki nach Athen und von Griechenland zurück mit dem Schiff nach Italien, von Brindisi, über Triest retour nach Hamburg stelle ich den streckenweise Mitreisenden diese Fragen: Wie leben sie? Was bewegt sie? Wie reisen sie? Vor, während und nach der Pandemie? Verändert sich ihr Reiseverhalten? Zugleich eröffnen ihre Mitteilungen Einblicke in Leben eines süd-östlichen Europas, über das hierzulande meist nur berichtet wird, wenn es dort zu Katastrophen kommt.

So wird sich die Reportage, die ich für den Deutschlandfunk mache, aus subjektiven Erfahrungen zusammensetzen und hoffentlich aufzeigen, was geschieht, wenn man anders reist: es bereichert und erweitert.